In einem weiteren Positionspapier hat der Bayerische Landesstudierendenrat (BayStuRa) Visionen der Zukunft der Lehre formuliert. Ob die Lehre dann tatsächlich erfolgreich und gelungen ist, erfahren die Lehrenden und Studierenden am Ende in der Modulprüfung. Prüfungen sind ein integraler Bestandteil des Studiums. Durch sie wird entschieden, ob Studierende das nötige Wissen und die nötigen Fähigkeiten erworben haben, um ihre angestrebte Berufsbezeichnung zu erhalten. Selbsterklärend gibt es eine große Vielfalt an Prüfungen und der Prüfungsorganisation an den unterschiedlichen Hochschulen, Fakultäten und Studiengängen. Die Vielfalt in der Art geht mit einer Varianz in der Qualität einher. Auch bei Prüfungen gibt es noch Verbesserungspotential. Der BayStuRa hat in dem folgenden Papier die fünf wichtigsten Visionen im Bereich der Prüfungen an bayerischen Hochschulen zusammengetragen, die die Qualität der Ausbildung von bayerischen Studierenden verbessern werden.
1. Vision: Kompetenzorientierte Prüfungsformate
In der heutigen Welt werden ganz andere Herausforderungen an die Arbeitnehmer:innen von morgen gestellt. Ein reines Abrufen von Wissen ist immer weniger vonnöten, als dies vor 50 Jahren noch der Fall war. Deshalb müssen sich die bayerischen Hochschulen den Herausforderungen der aktuellen Zeit stellen und eine kompetenzorientierte Lehre anbieten. Diese kompetenzorientierte Lehre kann auch nicht mehr in allen Fällen mit den klassischen Prüfungsformaten abgeprüft werden. Vielmehr muss die Prüfung als Teil der Ausbildung und Persönlichkeitsentwicklung der Studierenden gesehen werden. Die kompetenzorientierten Prüfungsformate sollen zum Ziel haben, Studierende ideal auf die Arbeits- und Wissenschaftswelt von morgen vorzubereiten und eine ganzheitliche Bildung im Sinne des humboldtschen Bildungsideals zu fördern.
Unterschiedliche Prüfungsformate eignen sich unterschiedlich gut für die Abfrage von Kompetenzen. Multiple-Choice-Fragen müssten beispielsweise durch weiterführende Freitextfragen ergänzt werden, um die getroffene Entscheidung auszuführen oder anzuwenden, was eine tatsächliche Kompetenz in einem Fachgebiet erkennen lässt. Projektarbeiten können erheblich zu einem tiefen Durchdringen der Materie beitragen. Allerdings sind diese auch sehr aufwändig, weswegen sie sich nicht für alle Module eignen.
Prüfungen sollen zur Kompetenzentwicklung der Studierenden beitragen. Dafür müssen fachspezifisch geeignete Prüfungsformate gewählt und aufeinander abgestimmt werden.
2. Vision: Gleichberechtigung und Schutz durch Pseudonymisierung
Aktuell findet nur an wenigen Hochschulen eine Pseudonymisierung bei Klausuren statt. Wir unterstützen die Pseudonymisierung, welche durch Art. 4 Nr. 5 DSGVO definiert wird. Darunter versteht man die Verarbeitung personenbezogener Daten in einer Weise, dass die Daten ohne Hinzuziehung zusätzlicher Informationen nicht mehr einer spezifischen Person zugeordnet werden können. Für eine Pseudonymisierung spricht der Schutz der persönlichen Daten der Prüflinge, der Schutz vor bewusster, aber auch unbewusster Diskriminierung sowie die Vermeidung von prüfungsrechtlichen Auseinandersetzungen. Der Vorwurf der Befangenheit (Art. 21 BayVwVfG) bei Prüfungsanfechtungen kann hierdurch in der Regel ausgeschlossen werden. Umgesetzt werden kann die Pseudonymisierung durch die reine Nutzung der Matrikelnummer, welche in der Regel keine bis wenige Rückschlüsse auf die Identität von Studierenden zulässt oder auch durch eine Kombination aus Matrikelnummer und Sitzplatznummer.
Selbiges gilt auch für die Verkündung von Noten. Es darf nicht möglich sein, durch öffentliche Aushänge Rückschlüsse auf die Noten von Kommiliton:innen zu ziehen.
Prüfungen und Prüfungsergebnisse müssen echt pseudonymisiert sein. Nur so kann bewusste oder unbewusste Diskriminierung ausgeschlossen werden.
3. Vision: Faire und planungssichere Prüfungsumstände
Prüfungszeiträume laufen teilweise von Hochschule zu Hochschule unterschiedlich ab. Die Zeiträume unterscheiden sich etwas und auch die Anzahl der Prüfungszeiträume variiert. Wenigstens innerhalb einer Hochschule sollten aber die Fristen untereinander abgestimmt und kongruent sein. So sind zum Beispiel Korrekturfristen so zu setzen, dass Studierende früh genug erfahren, ob Sie eine Prüfung wiederholen müssen oder nicht. So können sie sich vor einem eventuellen Zweitversuch gezielt darauf vorbereiten. Leider ist das aktuell noch nicht flächendeckend der Fall. Teilweise ist noch nicht einmal gesichert, dass Studierende ihre Noten kennen, bevor sie eine darauf aufbauende Prüfung antreten wollen. Das ist unbedingt zu verhindern.
Des Weiteren kann es passieren, dass Studierende im Abschlussjahrgang noch durch eine Prüfung fallen und ihr Studium erst ein Semester später offiziell abschließen können. Daran schließen sich manchmal viele Probleme an wie die Studienfinanzierung, wenn das BAföG oder das Stipendium wegfallen, Wohnungsprobleme, wenn die Maximalwohnungszeit in Wohnheimen überschritten wird oder auch ganz simpel die Verzögerung des Berufseinstiegs. Daher wäre es wünschenswert, für gerade diese Studierende, wenn es nur noch um eine letzte Prüfung geht, eine zeitnahe Nachholklausur zu ermöglichen, um Studierende nicht länger als notwendig an die Hochschule zu binden.
Konkrete Korrekturfristen sollen Studierenden Planungssicherheit gewährleisten. Außerdem ermöglichen gezielte Angebote für Nachholprüfungen einen schnelleren Abschluss mancher Studierender.
4. Vision: Mehr Transparenz in Prüfungskommissionen
Prüfungsausschüsse und ‑kommissionen beeinflussen Studierende entscheidend. Dort wird über den rechtmäßigen Ablauf von Prüfungen, Prüfungsanmeldungen und ‑abmeldungen und insbesondere auch Härtefallanträge entschieden. Besonders viel bekommen davon aber nicht einmal interessierte Studierende mit. Dabei ist Transparenz gerade in diesen Gremien besonders wichtig, denn nur transparente Vorgänge schaffen Verständnis und Akzeptanz.
Ein einfaches Mittel, um die Transparenz zu steigern, ist die Integration eines beratenden, studentischen Mitglieds in die Prüfungskommission. Teilweise müssen dafür erst noch die notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Ein beratendes Mitglied hätte neben der Transparenz für Studierende auch den Vorteil, dass bei Entscheidungen über Studierende eine Stellungnahme von Studierenden eingeholt werden kann. Diese zusätzliche Perspektive kann Entscheidungen zugunsten der Hochschule verbessern.
Studierende sollen in Prüfungskommissionen durch ein beratendes, studentisches Mitglied vertreten sein.
5. Vision: Leichte Sprache in Rechtstexten insbesondere im Bereich Prüfungen
Studieren ist unkompliziert – zumindest, wenn man in idealtypischen Studienverläufen und auf vorgeebneten Pfaden studiert. Kommen Studierende von diesen ab, haben sie es plötzlich mit mannigfaltigen Ordnungen, Satzungen, aber eben auch Gesetzen und Verordnungen zu tun, die Rechte und Pflichten für die Studierenden festlegen. Besonders im Bereich Prüfungen sind Kenntnisse über Fristen, Wiederholungsprüfungen, Unterschleif, Rücktritt, Korrekturfristen, Format oder Datenschutz von großer Wichtigkeit.
Leider sind diese Rechtstexte und die daraus abzuleitenden Rechten und Pflichten für Studierende – wenn diese nicht gerade Jura studieren – oft schwer verständlich. Bei Satzungen und Ordnungen der Hochschule hilft oft die Studiengangskoordination weiter; bei Gesetzen oder Verordnungen gibt es keine vergleichbare Instanz. Dazu kommt die Schwierigkeit zu wissen, welche der vielen Verordnungen in einer speziellen Situation Anwendung findet. Deswegen fordern wir, dass für alle relevanten Rechtstexte ein Kommentar oder Leitfaden in leicht verständliche Sprache bereitgestellt wird, der z. B. auf einer Webseite zentral aufzufinden ist. So wird es Studierenden ermöglicht, sich zu informieren, ohne auf externe Hilfe angewiesen zu sein, die oft dringend selbst benötigte Ressourcen bindet.
Ein leichter Zugang zu Gesetzes- und Ordnungstexten in einfacher Sprache verschafft Studierenden mehr Übersicht über ihre Rechte und Pflichten im Studium.