Reformbedarf des Lehramtsstudiums

BESCHLUSS

Der Bay­erische Lan­desstudieren­den­rat (BayStu­Ra) sieht zahlre­iche Prob­leme im Lehramtsstudi­um und entsprechend großen Reformbe­darf. Die Auf­gaben zur Umgestal­tung sind vielfältig und müssen zeit­nah ange­gan­gen wer­den, damit die Lehrkräfte­bil­dung attrak­tiv­er wird und der Lehrkräfte­man­gel entschärft wer­den kann. 

1. Flex­i­bil­ität des Studi­ums   

Grund­sät­zlich begrüßt der BayStu­Ra die Vielfalt an Kom­bi­na­tion­s­möglichkeit­en in den ver­schiede­nen Lehramtsstu­di­engän­gen und Stan­dorten und spricht sich für Erhalt und sin­nvollen Aus­bau dieser Flex­i­bil­ität aus. Lei­der wird aus ver­schiede­nen Stan­dorten der Lehrkräfte­bil­dung immer wieder berichtet, dass die Studier­barkeit manch­er Kom­bi­na­tio­nen auf­grund von Über­schnei­dun­gen nicht gegeben ist. Dieser Prob­lematik sollte mit geeigneten Maß­nah­men — beispiel­sweise ein­er verpflich­t­en­den Akkred­i­tierung aller Lehramtsstu­di­engänge — ent­ge­gengewirkt wer­den. 

Eben­falls bericht­en Studierende häu­fig davon, dass es bei einem Fach- oder Stan­dortwech­sel zu Prob­le­men bei der Anrech­nung kommt, obwohl alle bay­erischen Lehramtsstu­di­engänge auf der LPO I fußen und in ihren Mod­ulen somit gle­iche Kom­pe­ten­zen ver­mit­teln soll­ten. Der BayStu­Ra spricht sich dafür aus, dass die Anerken­nung­sprax­is von bere­its erbracht­en Leis­tun­gen nicht zum Nachteil für Studierende aus­gelegt wird, son­dern die struk­turell bere­its gegebene Flex­i­bil­ität nutzt und ein flex­i­bles Lehramtsstudi­um ermöglicht.  

Über die uni­ver­sitären Pro­gramme hin­aus stellen Prak­ti­ka an vie­len Stellen eine weit­ere Prob­lematik dar. Das Betrieb­sprak­tikum (bei der Beru­flichen Bil­dung auf­grund ein­er anderen Struk­tur ausgenom­men), welch­es in den Lehramtsstu­di­engän­gen abzuleis­ten ist, wird scharf kri­tisiert. Gefordert wird eine qual­i­ta­tive Lehrkräfte­bil­dung, die empirisch fundiert ist. Dies impliziert, dass auch Praxis­er­fahrun­gen empirisch fundiert sind und durch geeignete und geschulte Per­so­n­en begleit­et wer­den, sodass ein reflek­tiert­er Kom­pe­ten­za­uf­bau stat­tfind­en kann. Das „Betrieb­sprak­tikum“ find­et zumeist völ­lig unbe­gleit­et und unre­flek­tiert statt. Hinzu kommt, dass es in einem nicht­päd­a­gogis­chen Bere­ich abzuleis­ten ist, was jeglich­er Argu­men­ta­tion­s­grund­lage ent­behrt. Eben­falls ist die Dauer von acht Wochen zum Teil länger, als alle in manchen Lehramtsstu­di­engän­gen schul­be­zo­ge­nen Prak­ti­ka kumuliert, was eine falsche Schw­er­punk­t­set­zung impliziert. Abschließend ist anzumerken, dass für diese Betrieb­sprak­ti­ka keine Leis­tun­gen in Form von ECTS anerkan­nt wer­den.   

Auch gibt es (in bes­timmten Fäch­ern) unbezahlte Prak­ti­ka ohne Lehramts­bezug, welche mehrere Monate andauern und am Block abzuleis­ten sind. Hier kom­men Studierende gle­icher­maßen wie bei der Staat­sex­a­m­ensvor­bere­itung in die Bedräng­nis, ihr Studi­um zu finanzieren, wenn sie in der vor­lesungs­freien Zeit mehrere Monate am Stück gebun­den sind. Ein Urlaub­sse­mes­ter kommt hier­bei allerd­ings nicht in Frage, wenn BAföG bezo­gen wird oder eben Leis­tun­gen in Form des Prak­tikums einge­bracht wer­den müssen. Ger­ade, wenn diese Prak­ti­ka keinen Schul­bezug aufweisen, drängt sich umso mehr die Frage auf, ob dies noch zeit­gemäß erscheint.  

Der BayStu­Ra spricht sich dafür aus, das Betrieb­sprak­tikum (in Grund‑, Mit­tel- & Realschule sowie Gym­na­si­um) auf­grund der oben genan­nten Gründe abzuschaf­fen. Der hier­durch entste­hende Freiraum wird drin­gend für begleit­ete, empirisch gestützte und somit gewinnbrin­gende Praxis­er­fahrung benötigt, die einen gelin­gen­den schul­be­zo­ge­nen Kom­pe­ten­za­uf­bau ermöglicht.   

In Anbe­tra­cht des Bedarfs zur Weit­er­en­twick­lung bes­timmter Prax­is­phasen betra­cht­en wir mit Neugierde die Beschlus­slage der KMK bezüglich der Entwick­lung hin zum dualen Lehramtsstudi­um und sind ges­pan­nt, welche Ergeb­nisse diese Umset­zun­gen in Augs­burg und Thürin­gen brin­gen wer­den.  

2. Über­win­dung der Prob­leme mit dem Staat­sex­a­m­en 

Einen zweit­en großen Reformbe­darf sieht der BayStu­Ra in der derzeit­i­gen Aus­führung und Form des Staat­sex­a­m­ens als Abschluss der Lehrkräfte­bil­dung. Dabei konzen­tri­ert sich die Kri­tik primär auf Prob­lematiken der Ersten Staat­sprü­fung, mit der die uni­ver­sitäre Lehrkräfte­bil­dung abschließt. Die struk­turelle Diver­genz zwis­chen dem mod­u­lar­isierten Lehramtsstudi­um mit freier Schw­er­punk­t­bil­dung und der ersten, zen­tral­isierten und bay­ern­weit angeglich­enen Staat­sprü­fung in ihrer derzeit­i­gen Beschaf­fen­heit stellt ein maßge­blich­es Prob­lem dar. Deut­lich wird diese Dis­so­nanz bere­its darin, dass die Lehren­den an den Uni­ver­sitäten — bis auf die Kor­rek­tur der Exa­m­en­sklausuren — in die Genese der Exa­m­en­sklausuren weitest­ge­hend nicht einge­bun­den sind. Dies führt nicht sel­ten dazu, dass sich im Staat­sex­a­m­en abge­fragte The­men, beson­ders in den Fach­wis­senschaften, nicht in den ange­bote­nen Lehrver­anstal­tun­gen oder gar im Cur­ricu­lum einzel­ner Uni­ver­sitäten wiederfind­en lassen. Besagte Fra­gen wer­den zen­tral von vere­inzel­ten, oft­mals lehrkräfte­bil­dungs­fer­nen Per­so­n­en for­muliert, dem Kul­tus­min­is­teri­um zur Über­prü­fung über­mit­telt und führen selb­st inner­halb der Fach­wis­senschaften und ‑didak­tiken häu­fig zu großen Irri­ta­tio­nen. Lehrende, die Klausurfra­gen für ihr Fachge­bi­et ein­senden, sind nicht dazu verpflichtet oder ange­hal­ten, einen Erwartung­shor­i­zont zu for­mulieren. 

Der BayStu­Ra ver­ste­ht die Argu­men­ta­tion für den Bedarf ein­er beamten­rechtlichen Ein­stel­lung­sprü­fung — die jedoch auch alleinig durch das wesentlich aus­sagekräftigere Zweite Staat­sex­a­m­en gegeben wäre — bemän­gelt jedoch aus­drück­lich die derzeit­ige Umset­zung der Ersten Staat­sprü­fung.   

Zwar ist die Staat­sprü­fung zen­tral organ­isiert, ent­behrt aber den­noch grundle­gen­den Gütekri­te­rien. Eine objek­tive Beno­tung wird nicht ermöglicht, da keine verbindlichen Erwartungs- und Bew­er­tung­shor­i­zonte existieren. Jede*r Prüfende kor­rigiert somit mit einem indi­vidu­ellen Erwartung­shor­i­zont bzw. dem Hin­ter­grund eigen­er wis­senschaftlich­er Stand­punk­te. Diese kön­nen — grundgelegt durch die Frei­heit von Wis­senschaft und Lehre — teil­weise von den Stand­punk­ten ander­er Kor­rigieren­der abwe­ichen. Kommt es zwis­chen Erst- und Zweit­prüfend­en zu Uneinigkeit­en, sind diese ange­hal­ten, sich bilat­er­al zu eini­gen, was kaum ein­er kri­te­ri­alen Bew­er­tungsnorm gerecht wird. Somit kommt es immer wieder dazu, dass ein und dieselbe Leis­tung an unter­schiedlichen Stan­dorten in Bay­ern von unter­schiedlichen Prüfend­en ver­schieden bew­ertet wird. Auch die Valid­ität der Staat­sprü­fung wird in Frage gestellt. Was in den Augen des BayStu­Ra geprüft wird, kor­re­liert nur sehr begren­zt mit dem ver­mit­tel­ten Cur­ricu­lum des Studi­ums und den später als Lehrkraft benötigten Kom­pe­ten­zen: Einen Essay hand­schriftlich inner­halb von vier bzw. drei Stun­den auf Papi­er zu brin­gen und dabei nicht sel­ten aus dem Kopf her­aus mit wis­senschaftlichen Bele­gen wie in ein­er Hausar­beit zu zitieren, zeigt lediglich die Fähigkeit des „Bulim­ie-Ler­nens“, aber wenig Trans­fer­ver­ständ­nis und über­greifende Kom­pe­ten­zen.  

Abschließend ist anzumerken, dass das Staat­sex­a­m­en min­destens ein Semes­ter an Prü­fungsvor­bere­itung zwin­gend erfordert, welch­es im Stu­di­en­ver­lauf­s­plan allerd­ings nicht vorge­se­hen ist. Studierende, die staatliche Hil­fe in Form des BAföG oder Stipen­di­en beziehen, müssen sich erneut wie bei den entsprechen­den Prak­ti­ka daher die Frage stellen, inwiefern sie ihren Leben­sun­ter­halt finanzieren kön­nen, während sie sich angemessen auf das Staat­sex­a­m­en vor­bere­it­en sollen.  

Der BayStu­Ra fordert zwar derzeit keine Abschaf­fung des Staat­sex­a­m­ens, aber spricht sich drin­gend für eine Über­ar­beitung der derzeit­i­gen, zen­tral­isierten und man­gel­haften Form aus. Es müssen neue Wege in der Auf­gaben­stel­lung und ‑bew­er­tung gegan­gen wer­den, die eine Verzah­nung mit dem Studi­um und einen kon­seku­tiv­en Kom­pe­ten­za­uf­bau ermöglichen. Eben­falls ist zu über­prüfen, ob die Staat­sex­a­m­en­sprü­fun­gen zwin­gend gehäuft und nicht, wie in der Sport­di­dak­tik bere­its seit vie­len Jahren möglich, bere­its während des Studi­ums erbracht wer­den kön­nen.  

3. Reformierung des Über­gangs von der ersten in die zweite Phase der Lehrkräfte­bil­dung  

Das Ref­er­en­dari­at bzw. der Vor­bere­itungs­di­enst als an das Studi­um anschließende zweite Phase der Lehrkräfte­bil­dung ist in sein­er derzeit­i­gen Beschaf­fen­heit aus Sicht der Studieren­den insofern prob­lema­tisch, als dass es an Trans­parenz, Kon­trol­linstanzen und ein­er Verzah­nung von uni­ver­sitär­er Lehrkräfte­bil­dung und der Aus­bil­dung im Ref­er­en­dari­at man­gelt.   

Vorgänge, wie beispiel­sweise die Verteilung ange­hen­der Lehrkräfte an die Sem­i­nar- und Ein­satzschulen sind nicht trans­par­ent. Die Infor­ma­tion der ange­hen­den Lehrkräfte über ihren Ein­sat­zort erfol­gt zu kurzfristig, wodurch deren Lebenssi­t­u­a­tion zu jedem Schul(halb)jahresbeginn erneut von Unsicher­heit und zusät­zlichem, ver­mei­d­baren Stress geprägt ist. Die Attrak­tiv­ität des Ref­er­en­dari­ats lei­det daher mas­siv, was Absolvent*innen der Ersten Staat­sprü­fung teil­weise davon abhält, die zweite Phase der Lehrkräfte­bil­dung anzutreten.   

Für die Erfahrung, die ange­hende Lehrkräfte bei Antritt des Ref­er­en­dari­ats machen, hat sich der Ter­mi­nus “Praxiss­chock” etabliert. Dieser macht auf das generelle Prob­lem ein­er man­gel­nden Verzah­nung der uni­ver­sitären Lehrkräfte­bil­dung und dem Ref­er­en­dari­at aufmerk­sam. Analy­sen, Pla­nungsmod­elle und Unter­richtsmeth­o­d­en, die in den Uni­ver­sitäten gelehrt wer­den, stim­men nicht mit dem übere­in, was Seminarleiter*innen im Ref­er­en­dari­at von ange­hen­den Lehrkräften als Stan­dards ein­fordern. Dies ist auf stel­len­weise prekäre Prak­tikums­be­gleitung seit­ens der Uni­ver­sitäten zurück­zuführen, jedoch eben­so auf den grund­sät­zlichen Man­gel an Vor­bere­itungskursen, Infor­ma­tionsver­anstal­tun­gen oder anderen For­men der Begleitung im Über­gang von der ersten auf die zweite Phase der Lehrkräfte­bil­dung.  

Kri­tisiert wird außer­dem die hohe Abhängigkeit der ange­hen­den Lehrkräfte von den jew­eili­gen Seminarleiter*innen. Struk­turell entste­ht diese bere­its durch die Ober­fläch­lichkeit in der LPO II, die die Anforderun­gen an die ange­hen­den Lehrkräfte regeln soll. So hat eine ange­hende Grund- oder Mit­telschullehrkraft lediglich eine einzige zugeteilte Per­son, die das Sem­i­nar leit­et und ihr direkt vorge­set­zt und der sie somit „aus­geliefert“ ist. Anders ist dies für eine ange­hende Realschul- oder Gym­nasiallehrkraft, welche sowohl Fach- als auch Sem­i­narlehrkräfte zur Seite gestellt bekommt. Auch wird im Ref­er­en­dari­at der Realschule und im Gym­na­si­um ver­sucht, den „Praxiss­chock“ abzu­mildern, indem das erste halbe Jahr noch frei von eigen­ver­ant­wortlichem Unter­richt ist und die Referendar*innen sukzes­sive auf ihre Tätigkeit vor­bere­it­et wer­den. Das Lehramt in Grund- und Mit­telschulen startet bere­its mit acht eigen­ver­ant­wortlichen Unter­richtsstun­den, wodurch sich der „Praxiss­chock“ man­i­festiert. 

Der BayStu­Ra fordert, die Bedin­gun­gen für das Ref­er­en­dari­at für das Grund- und Mitteschullehramt nach dem Vor­bild der Realschule und des Gym­na­si­ums anzu­gle­ichen, sowie die Ein­rich­tung und Ver­ankerung ein­er unab­hängi­gen Beschw­erdestelle, beispiel­sweise in Form ein­er Ombudsper­son, um einem poten­ziellen struk­turellen Macht­miss­brauch ent­ge­gen­zuwirken und ange­hende Lehrkräfte zu schützen. Diese ist seit dem Hin­weis­ge­ber­schutzge­setz in vie­len öffentlichen Ein­rich­tun­gen bere­its umge­set­zt und niedrigschwellig erre­ich­bar, nicht aber für Lehrkräfte in Aus­bil­dung. Den jun­gen Lehrkräften ste­hen lediglich Teile des Haupt­per­son­al­rats zur Ver­fü­gung — der wiederum direkt am Kul­tus­min­is­teri­um, also dem Arbeit­ge­ber, angegliedert ist. Für junge Lehrkräfte sind poten­zielle Auswirkun­gen und Kon­se­quen­zen bis heute nicht ersichtlich, soll­ten sie sich bei diesem Gremi­um oder ein­er anderen Stelle des Kul­tus­min­is­teri­ums über ihre vorge­set­zte Sem­i­narlehrkraft beschw­eren.  

Man­gel­nde Trans­parenz, gescheit­erte Verzah­nung von uni­ver­sitär­er Lehrkräfte­bil­dung und Ref­er­en­dari­at sowie fehlende Kon­trol­linstanzen führen zu einem neg­a­tiv­en öffentlichen Image des der Lehrkräfte­bil­dung. Eine lange Liste an neg­a­tiv­en Erfahrun­gen des soge­nan­nten “Praxiss­chocks”, wie beispiel­sweise kurzfristige und kaum stemm­bare Wohnortwech­sel und verzweifelte Woh­nungssuche in Bal­lungsräu­men, Abhängigkeit von Sem­i­narleitun­gen, Über­be­las­tung durch Unter­richts- und Lehrproben­vor­bere­itung, Hos­pi­ta­tio­nen, Kor­rek­tur und Führung von Schriftwe­sen, bis zu 60-Stun­den-Wochen und ähn­liche Erfahrun­gen, wird selb­stver­ständlich in die Studieren­den­schaft und die Medi­en­land­schaft trans­portiert.   

Durch die geforderte Verbesserung der Infor­ma­tion­spoli­tik, ern­stgenommene Trans­parenz und die Etablierung von Kon­troll- und Schutzin­stanzen kann das Image der Lehrkräfte­bil­dung verbessert wer­den. Somit kann auch dem Lehrkräfte­man­gel — durch eine höhere Über­trittsquote von Absolvent*innen der Ersten Staat­sprü­fung in das Ref­er­en­dari­at — ent­ge­gengewirkt wer­den. Nach­dem der Lehrberuf bere­its mit einem — ver­glichen mit anderen Beruf­s­grup­pen — hohen Burnout-Risiko ver­bun­den ist, fordert der BayStu­Ra den Über­gang vom Studi­um hin in das Ref­er­en­dari­at cur­ric­u­lar verzah­nt, trans­par­ent und studieren­de­nori­en­tiert zu gestal­ten und entsprechende Strate­gien zum men­tal­en Ressourcen­man­age­ment in das Cur­ricu­lum der LPO II zu inte­gri­eren. 

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