Eröffnungen wie die des inklusiven Wohnheims in München im Herbst 2024 geben Hoffnung, dass die Bedeutung einer inklusiven Hochschullandschaft zunehmend wahrgenommen wird. Doch auch wenn diese Eröffnung ein kleiner Schritt in die richtige Richtung ist, sieht der Bayerische Landesstudierendenrat (BayStuRa) zahlreiche weitere Bedarfe und Entwicklungsmöglichkeiten, um den Freistaat barrierearm zu machen.
Barrierearmut umfasst sowohl eine Zugänglichkeit von Studium, Hochschule und studentischem Leben für Menschen mit eingeschränkter Mobilität als auch eine Zugänglichkeit für Menschen mit anderen Beeinträchtigungen und muss nach Behindertengleichstellungsgesetz § 4 Zugang und Nutzung „ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe“ herstellen [1]. Barrierearmut als „rollstuhlzugänglich“ zu interpretieren, greift an dieser Stelle maßgeblich zu kurz und muss deutlich weitreichender aufgefasst werden [2]. Hierzu müssen Verantwortliche und Hochschulpräsidien informiert, sensibilisiert und geschult werden. Insbesondere, aber nicht abschließend, von Führungspersonen ist eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema Barrierearmut zu erwarten. Sie müssen sich mit der Breite von Gestaltungsmöglichkeiten und Bedürfnissen befassen und strategische Leitlinien für die vielfältige Hochschulgemeinschaft entwickeln. Diese Leitlinien sollten explizit auch einheitliche Regelungen zur Anerkennung von psychischen Beeinträchtigungen und damit die einheitliche Handhabe von Nachteilsausgleichen inkludieren. Diese sollten immer hochschulintern einheitlich sein, müssen aber auch bayernweit harmonisiert werden, sodass Chancengleichheit besteht. Von vornherein müssen zentral einheitliche Vorgaben kommuniziert werden, sodass ein Angleichen tatsächlich möglich wird.
Der große Sanierungsbedarf [3] an Bayerns Hochschulen bietet an dieser Stelle auch eine Möglichkeit. So können Hochschulgebäude in diesem Zuge nicht nur energetisch modernisiert werden, sondern auch mit Blick auf technische Ausstattung und Barrierearmut zukunftsweisend überholt werden. Bei jeder Sanierung muss Barrierearmut ein essenzieller Bestandteil sein, sodass zukünftig alle Seminarräume und Hörsäle allen Menschen zugänglich sind. Wichtig ist hierbei, dass nicht nur der heutige Stand von festen Regelungen beachtet wird, sondern bereits zukunftsorientiert an technische Entwicklungen und Möglichkeiten gedacht wird, sodass Hochschulen Vorreiterinnen im Bereich der Barrierearmut werden. Hierzu zählen insbesondere auch Alarmsysteme, die für alle Mitglieder der Gesellschaft wahrnehmbar sein sollten, sodass im Notfall ein optischer ebenso wie akustischer Alarm ausgelöst wird. Solche Systeme erhöhen die Sicherheit der Mitglieder unserer Hochschulgemeinschaft, die mit Beeinträchtigungen studieren.
Ebenso wie die Gebäudeinfrastruktur barrierearm werden muss, muss auch die Lehre dies werden. So müssen Dokumente von Lehrveranstaltungen barrierearm zugänglich sein, sofern dies möglich ist und Bedarf bestehen könnte. Hierbei sei insbesondere auf den Bedarf entsprechender didaktischer Schulungen hingewiesen, die Lehrenden die Möglichkeiten aufzeigen und bei der Erstellung entsprechender Unterlagen unterstützen, wie beispielsweise Kurse des BayZiels [4]. In diesen Schulungen sollen Kompetenzen vermittelt werden, Tools zugänglich gemacht werden und ein Netzwerk geschaffen werden, sodass die geschulten Personen zu Multiplikatoren werden können. Auch Prüfungsformate sollten thematisiert werden, damit Prüfungen ebenfalls barrierearm ablegbar sind. Es ist wichtig zu betonen, dass die Möglichkeiten zu barrierearmen Unterlagen und Kommunikation meist weitreichender sind, als im ersten Moment für ungeschulte Personen anzunehmen ist, weshalb Schulungen nicht nur ein Benefit wären, sondern einen Kernaspekt des Vorantreibens von Barrierearmut darstellen. Ergänzend zu einer inklusiven Hochschullehre fordern wir Kursangebote für Studierende, in denen sie barrierearme Kommunikationsformen wie beispielsweise Gebärdensprache oder Blindenschrift erlernen können. Diese Angebote, an zahlreichen Hochschulen bereits etabliert, sollen als freiwillige Ergänzung wahrgenommen, aber auch als überfachliche Module oder, wo passend, im Lehrplan integrierte Kurse belegt werden können oder zusätzliche Zertifikate erworben werden können [5], [6], [7].
Auch jenseits der hochschuleigenen Maßnahmen können Hochschulen sich für ein barrierearmes Studierendenleben einsetzen. Dies beginnt bei den Haltestellen des ÖPNV, die insbesondere vor den Hochschulen barrierearm sein müssen. Aber auch das eingangs erwähnte Beispiel inklusiven Wohnens ist ein wichtiger Bestandteil von Barrierearmut. Ebenso müssen Mensen barrierearm zugänglich und nutzbar sein, sodass eine inklusive Gesellschaft im Hochschulkontext vorgelebt wird. Angebote für Studierende im Rahmen des Hochschulsports oder Exkursionen sollten einen barrierearmen Zugang mitdenken und nach Möglichkeit umsetzen. Auch hier müssen Verantwortliche gut geschult werden, sodass sie die Potentiale verschiedener Formate erkennen und umsetzen können.
Durch ein durchdachtes Gesamtkonzept für Barrierearmut, das von Vorlesungen über Prüfungen bis hin zum Studienalltag alle Bereiche inkludiert und berücksichtigt, kann die gesamte Hochschulgemeinschaft für dieses wichtige Thema sensibilisiert werden und voneinander lernen. Diversität mit all ihren Facetten stellt eine Bereicherung für die Gemeinschaft dar, sodass diese durch entsprechende Ausgestaltung ermöglicht werden muss.
Literatur
[1] Behindertengleichstellungsgesetz BGG. Zugegriffen: 29. November 2024. [Online]. Verfügbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/bgg/
[2] „Barrierefreiheit – von Beginn an“, Der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen. Zugegriffen: 29. November 2024. [Online]. Verfügbar unter: http://www.behindertenbeauftragter.de/DE/AS/schwerpunkte/barrierefreiheit/barrierefreiheit.html?nn=27146
[3] A. Günther und C. Henzler, „Sanierungsstau: Wo Bayerns Hochschulen vor sich hin bröckeln“, Süddeutsche.de, Erlangen/München, 31. Juli 2019. Zugegriffen: 29. November 2024. [Online]. Verfügbar unter: https://www.sueddeutsche.de/bayern/bayern-hochschulen-sanierung-exzellenzunis‑1.4544902
[4] K. Bauer, „Accessibility in der digital gestützten Hochschullehre: Barrierefreie Lehr-Lern-Materialien“, BayZiel. Zugegriffen: 29. November 2024. [Online]. Verfügbar unter: https://www.didaktikzentrum.de/component/redevent/details/4?xref=162705
[5] OTH Regensburg, „Gebärdensprache Anfängerkurs“. Zugegriffen: 29. November 2024. [Online]. Verfügbar unter: https://www.oth-regensburg.de/studiengang/gebaerdensprache-anfaengerkurs-teilnahmebescheinigung
[6] LMU München, „Gebärdensprache Anfängerkurs“. Zugegriffen: 29. November 2024. [Online]. Verfügbar unter: https://www.lmu.de/lmu-sprachenzentrum/de/sprachkursangebot/semesterkurse/gebaerdensprache/
[7] LMU München, “Zertifikat Inklusion”. Zugegriffen 15.Dezember 2024. [Online]. Verfügbar unter: https://www.mzl.lmu.de/de/studium/studierende/zertifikat-inklusion/