Für ein faires, fachlich fundiertes und verlässliches Verfahren beim Nachteilsausgleich an Bayerischen Hochschulen

BESCHLUSS

1         Ausgangslage: Studieren mit Beeinträchtigung

1.1          Generelles

Wie die bun­desweite best3-Studie des Deutschen Stu­den­ten­werks (2023, Daten­stand 2021) zeigt, geben 16 % der Studieren­den an, eine stu­di­ener­schw­erende Beein­träch­ti­gung erleben – im Ver­gle­ich zu 11 % im Jahr 2016, bzw. 8 % in 2011. Von diesen Betrof­fe­nen studieren 65 % mit psy­chis­chen Erkrankun­gen, 13 % mit chro­nis­chen Erkrankun­gen, und 31 % sind mehrfach beein­trächtigt. [1]

Laut best3, ist der größte Anstieg in der Gruppe der Studieren­den mit ein­er psy­chis­chen Erkrankung ersichtlich: “Eine Zunahme um rund 20 Prozent­punk­te von 45 % im Jahr 2011 auf 65 % im Jahr 2021. […] Bei knapp 17 % der Studieren­den beste­ht die stu­di­ener­schw­erende Beein­träch­ti­gung von Geburt an, bei etwa 63 % trat sie vor Stu­di­en­be­ginn auf.” [1] Dem­nach erhal­ten 37 % dieser Studieren­den ihre Diag­nose erst im Ver­lauf des Studi­ums, was den Zugang zu Unter­stützung erschw­ert und sie struk­turell benachteiligt. 
Gle­ichzeit­ig nehmen nur 29 % der Betrof­fe­nen über­haupt einen Nachteil­saus­gle­ich in Anspruch, obwohl drei Vier­tel der­jeni­gen, die ihn nutzen, ihn als hil­fre­ich bew­erten [1]. Das weist auf tief­greifende struk­turelle Hin­dernisse und auf eine verun­sich­ernde Antragskul­tur hin.

1.2        Abbrüche

Die fehlende struk­turelle Unter­stützung für Studierende mit Beein­träch­ti­gun­gen zeigt sich beson­ders deut­lich in den erhöht­en Abbruch- und Unter­brechungsquoten. Laut best3-Studie hat etwa jede*r fün­fte Studierende mit stu­di­ener­schw­eren­der Beein­träch­ti­gung das Studi­um min­destens ein­mal unter­brochen – im Ver­gle­ich zu nur 9% unter den nicht beein­trächtigten Studieren­den. Auch der Wech­sel des Stu­di­en­fachs (36,5% vs. 23,6%) und der Hochschule (27,3% vs. 19,2%) kommt unter beein­trächtigten Studieren­den deut­lich häu­figer vor. Zudem begin­nen sie sel­tener ein Mas­ter­studi­um und sind – selb­st bei ver­gle­ich­baren Stu­di­en­leis­tun­gen – mehr als dop­pelt so häu­fig mit einem möglichen Stu­di­en­ab­bruch kon­fron­tiert (13,0% vs. 4,7%).

Diese Zahlen lassen sich nicht durch indi­vidu­elle Leis­tungs­fähigkeit oder man­gel­nde Moti­va­tion erk­lären, son­dern sind Aus­druck sys­temis­ch­er Ver­säum­nisse: man­gel­nde Inklu­sion­s­mit­tel, fehlende Unter­stützung in Ver­wal­tung­sprozessen, unflex­i­ble Lehrfor­mate und das weit­ge­hende Fehlen diskri­m­inierungssen­si­bler Struk­turen. Der Nachteil­saus­gle­ich, eigentlich als Unter­stützungsmech­a­nis­mus konzip­iert, greift hier häu­fig zu spät, zu for­mal­isiert oder gar nicht – ins­beson­dere dann, wenn die Hür­den zur Antrag­stel­lung zu hoch oder die Entschei­dungsstruk­turen nicht nachvol­lziehbar sind.

Eine stu­di­ener­schw­erende Beein­träch­ti­gung sollte nicht der Grund für einen Stu­di­en­ab­bruch sein. Der Ver­lust von Poten­zialen, Per­spek­tiv­en und Qual­i­fika­tio­nen ist nicht nur indi­vidu­ell tragisch, son­dern gesellschaftlich unver­ant­wortlich – ger­ade im Kon­text inklu­siv­er Bil­dungsver­sprechen und des Fachkräfte­man­gels. Ein wirk­sam imple­men­tiert­er Nachteil­saus­gle­ich ist dabei kein rein tech­nis­ches Ver­fahren, son­dern ein zen­trales Instru­ment zur Ver­mei­dung von Stu­di­en­ab­brüchen, zur Förderung von Stu­di­en­ver­läufen und zur Wahrung des Rechts auf Bil­dung für alle.

Um dieser Ver­ant­wor­tung gerecht zu wer­den, braucht es mehr als nur rechtliche Rah­menbe­din­gun­gen: Es braucht ver­lässliche Unter­stützungssys­temeniedrigschwellige Antrag­stel­lungqual­i­fizierte Beratung und verbindliche Sen­si­bil­isierung der entschei­den­den Stellen. Nur so lässt sich sich­er­stellen, dass die Entschei­dung für ein Studi­um nicht durch struk­turelle Bar­ri­eren, son­dern durch inhaltliche Inter­essen getra­gen wird – und dass nie­mand das Studi­um abbrechen muss, weil die Hochschule ihrer Für­sorge- und Schutzpflicht nicht gerecht wird.

1.3        Unterstützungsbedarf

Die Unter­stützungs­be­darfe von Studieren­den mit stu­di­ener­schw­eren­der Beein­träch­ti­gung sind vielfältig und immer indi­vidu­ell zu betra­cht­en. Den­noch zeigt die best3-Studie, dass rund 27% dieser Studieren­den spez­i­fis­che Anforderun­gen an die bauliche und tech­nis­che Ausstat­tung ihrer Hochschule oder konkrete Unter­stützungsleis­tun­gen for­mulieren. Beson­ders häu­fig genan­nt wer­den der Bedarf an Ruhe- und Rück­zugsräu­men(14%) sowie Unter­stützung bei E‑Learn­ing-Ange­boten (11%). Darüber hin­aus wün­schen sich viele Studierende Hil­fe im Stu­di­en­all­t­ag, etwa im Umgang mit Ver­wal­tung­sprozessen oder bei der Ori­en­tierung im Hochschul­sys­tem.

Ger­ade im Kon­text des Nachteil­saus­gle­ichs ist das Fehlen solch­er Unter­stützungsange­bote gravierend. Ein erhe­blich­er Anteil der Studieren­den ohne gewährten Nachteil­saus­gle­ich gibt an, nicht gewusst zu haben, dass ein Antrag gestellt wer­den kann (40%). Etwa 33% der Studieren­den, die eigentlich berechtigt wären einen Nachteil­saus­gle­ich zu beantra­gen, geben an, keinen Nachteil­saus­gle­ich beantragt zu haben, dass sie nicht wis­sen, an wen sie sich zur Unter­stützung wen­den kön­nen. 57% geben an, nicht sich­er zu sein, ob sie anspruchs­berechtigt sind oder ob der Antrag über­haupt Chan­cen hätte– ein struk­turelles Prob­lem, das mit Infor­ma­tion­slück­en, intrans­par­enten Zuständigkeit­en und fehlen­der Begleitung zusam­men­hängt. Der Nachteil­saus­gle­ich muss daher nicht nur rechtlich gewährt, son­dern prak­tisch zugänglich gemacht wer­den – durch bar­ri­ere­freie Infor­ma­tio­nen, nieder­schwellige Beratungsange­bote und gezielte Unter­stützungs­maß­nah­men.

1.4        Diskriminierungserfahrungen

Studierende mit stu­di­ener­schw­eren­der Beein­träch­ti­gung machen deut­lich häu­figer Diskri­m­inierungser­fahrun­gen im Hochschulkon­text als Studierende ohne solche Beein­träch­ti­gun­gen. Laut best3-Studie bericht­en 73% der befragten Studieren­den mit Beein­träch­ti­gun­gen von min­destens ein­er Diskri­m­inierungser­fahrung – im Ver­gle­ich zu 58% ihrer nicht beein­trächtigten Kommiliton*innen. Diese Dif­ferenz zieht sich auch durch spez­i­fis­che Sit­u­a­tio­nen: So geben 26% der Studieren­den mit Beein­träch­ti­gun­gen an, dass ihnen Leis­tun­gen nicht zuge­traut oder erbrachte Leis­tun­gen her­abgewürdigt wur­den. Bei Studieren­den ohne Beein­träch­ti­gun­gen liegt dieser Wert deut­lich niedriger – bei nur 15–17%.

Beson­ders betrof­fen sind dabei Studierende mit Mehrfach­beein­träch­ti­gun­gen. Sie erleben nicht nur die stärk­sten Stu­di­ener­schw­ernisse, son­dern auch die höch­sten Diskri­m­inierungsrat­en: 27% bericht­en von expliziten Benachteili­gun­gen auf­grund ihrer physis­chen oder psy­chis­chen Erkrankung. Knapp 26% geben an, aus­ge­gren­zt oder über­gan­gen wor­den zu sein, 28% bericht­en von her­ab­würdi­gen­der oder stereo­typ­isieren­der Behand­lung, 22,5% wur­den im Hochschulkon­text sog­ar aus­gelacht.

Diese Zahlen bele­gen, dass stu­di­ener­schw­erende Beein­träch­ti­gun­gen in vie­len Fällen nicht nur funk­tionale Ein­schränkun­gen darstellen, son­dern auch mit sozialen Auss­chlüssen, entwürdi­gen­der Kom­mu­nika­tion und struk­tureller Abw­er­tung ein­herge­hen. Diskri­m­inierung ist hier kein Neben­ef­fekt – sie ist inte­graler Bestandteil der Stu­di­en­re­al­ität viel­er Betrof­fen­er.

Ger­ade im Ver­fahren des Nachteil­saus­gle­ichs gewin­nt dieser Befund an Bedeu­tung: Wer über Nachteil­saus­gle­iche entschei­det, bee­in­flusst maßge­blich die Teil­habechan­cen einzel­ner Studieren­der. Wenn jedoch – wie die Zahlen zeigen – ein rel­e­van­ter Teil der Betrof­fe­nen struk­turell benachteiligt und ent­mutigt wird, dann ist es nicht aus­re­ichend, Nachteil­saus­gle­iche for­mal kor­rekt zu ver­wal­ten. Vielmehr braucht es eine reflex­ive, diskri­m­inierungssen­si­ble Hal­tung bei allen Entscheidungsträger*innen – ins­beson­dere in Prü­fungsämtern, Auss­chüssen und Lehrstühlen. Die Angst vor Diskri­m­inierungser­fahrun­gen im Antragsver­fahren darf kein Grund bleiben, dass Studierende nicht die Hil­fe fordern, die ihnen rechtlich zuste­ht.

Sen­si­bil­isierung muss deshalb zu einem verbindlichen Bestandteil hochschulis­ch­er Prax­is wer­den. Wer über Anträge auf Nachteil­saus­gle­ich urteilt, muss mit den Mech­a­nis­men von Stig­ma­tisierung, ableis­tis­ch­er Nor­ma­tiv­ität und nicht sicht­baren Beein­träch­ti­gun­gen ver­traut sein. Ohne dieses Bewusst­sein beste­ht die Gefahr, dass auch gut gemeinte Entschei­dun­gen pater­nal­is­tisch, unin­formiert oder – im schlimm­sten Fall – repro­duk­tiv diskri­m­inierend getrof­fen wer­den.

Hinzu kommt: Die struk­turelle Diskri­m­inierung von Studieren­den mit Beein­träch­ti­gung ist auch inter­sek­tion­al ver­schränkt. So liegt der Anteil von Stu­dentin­nen mit stu­di­ener­schw­eren­den Beein­träch­ti­gun­gen mit 19% deut­lich über jen­em von Stu­den­ten (12%). Stu­dentin­nen geben zudem häu­figer psy­chis­che Erkrankun­gen an (67% vs. 62%). Und beson­ders betrof­fen sind Studierende mit der Geschlecht­sangabe divers oder andere, von denen mehr als die Hälfte (55%) angibt, mit ein­er stu­di­ener­schw­eren­den Beein­träch­ti­gung zu studieren. Diese Zahlen machen deut­lich, dass Nachteil­saus­gle­ich nicht los­gelöst von Geschlecht, sozialer Posi­tion­ierung oder psy­chis­ch­er Gesund­heit gedacht wer­den kann. Beson­ders psy­chis­che Erkrankun­gen sind oft stig­ma­tisiert, was oft zu ein­er neg­a­tiv­en Entschei­dung in Nachteil­saus­gle­ichen oder anderen Maß­nah­men führen kann, welche eigentlich zur Unter­stützung dienen soll. 

Ein gerecht­es, inklu­sives und diskri­m­inierungssen­si­bles Nachteil­saus­gle­ichsver­fahren muss diesen Real­itäten Rech­nung tra­gen. Es darf nicht allein auf for­male Gle­ich­be­hand­lung set­zen, son­dern muss beste­hende Ungle­ich­heit­en aktiv kor­rigieren – durch Schu­lung und struk­turelle Ver­ant­wor­tungsüber­nahme.

1.5        Beratung und soziale Integration

Studierende mit stu­di­ener­schw­eren­der Beein­träch­ti­gung haben nicht nur mit zusät­zlichen Hür­den im Stu­di­en­all­t­ag zu kämpfen, son­dern benöti­gen auch sig­nifikant mehr Unter­stützung: fach­lich, per­sön­lich und struk­turell. Laut der best3-Studie geben 96 % dieser Studieren­den an, in min­destens einem Bere­ich – sei es Finanzierung, Studi­um oder Per­sön­lich­es – einen konkreten Infor­ma­tions- oder Beratungs­be­darf zu haben. Bemerkenswert ist dabei auch die deut­lich höhere Nutzung entsprechen­der Ange­bote: 71,1 % der betrof­fe­nen Studieren­den greifen auf Beratungsange­bote zurück – gegenüber nur 42,6 % in der Ver­gle­ichs­gruppe. Diese Zahlen bele­gen: Der Zugang zu Beratung ist für betrof­fene Studierende nicht nur hil­fre­ich, son­dern exis­ten­ziell. Für den Nachteil­saus­gle­ich bedeutet das konkret, dass die Antrag­stel­lung nicht alleinige Eigen­leis­tung der Betrof­fe­nen bleiben darf, son­dern durch flächen­deck­ende, qual­i­fizierte und niedrigschwellige Beratungsstruk­turen begleit­et wer­den muss. Nur so kann gewährleis­tet wer­den, dass der rechtlich garantierte Nachteil­saus­gle­ich nicht an bürokratis­chen Hür­den, fehlen­der Infor­ma­tion oder indi­vidu­eller Über­forderung scheit­ert.

Trotz des hohen Unter­stützungs­be­darfs zeigt sich, dass Studierende mit stu­di­ener­schw­eren­der Beein­träch­ti­gung in ihrem Stu­di­enum­feld häu­fig nicht sozial inte­gri­ert sind. Rund 59 % von ihnen haben keinen oder nur sel­te­nen Kon­takt zu ihren Mit­studieren­den – ein deut­lich höher­er Wert als bei Studieren­den ohne Beein­träch­ti­gung (47 %). Auch der Kon­takt zu Lehren­den außer­halb der Lehrver­anstal­tun­gen ist auf­fal­l­end ger­ing: 81 % der Betrof­fe­nen bericht­en, dass sie kaum oder nie ein per­sön­lich­es Gespräch mit Lehren­den führen – ein Umstand, der direk­te Auswirkun­gen auf die Möglichkeit hat, über indi­vidu­elle Bedarfe, Schwierigkeit­en oder Anpas­sungs­be­darfe ins Gespräch zu kom­men. Nur 27 % der Studieren­den mit Beein­träch­ti­gung geben an, mit ihren Mit­studieren­den offen über ihre Schwierigkeit­en sprechen zu kön­nen; 53 % erleben in ihrem Umfeld eher oder gar kein Ver­ständ­nis. Auch gegenüber Lehren­den fühlen sich viele nicht gese­hen: Nur 34 % der Befragten geben an, dort auf Ver­ständ­nis für ihre stu­di­en­be­zo­gene Sit­u­a­tion zu stoßen – zwei Drit­tel hinge­gen fühlen sich nicht wahr- oder ern­stgenom­men. Diese Ergeb­nisse zeigen eine struk­turelle Vere­inzelung und man­gel­nde Anerken­nung beein­trächtigter Studieren­der im Hochschu­lall­t­ag. Ein Nachteil­saus­gle­ich darf nicht allein for­mal­rechtlich gedacht, son­dern muss auch als Instru­ment gegen soziale Aus­gren­zung und fehlende Anerken­nung ver­standen wer­den. Etwa 37% der berechtigten Studieren­den geben an, keinen Nachteil­saus­gle­ich beantragt zu haben, da sie nie­man­dem zur Last fall­en wollen. 38% geben an, Hem­mungen zu haben, sich an jeman­den zu wen­den. 19% haben Angst, weit­ere Nachteile im Studi­um zu erfahren. Wo kein Ver­ständ­nis herrscht, braucht es Sen­si­bil­isierung, Weit­er­bil­dung und gemein­same Vor­gaben. Wo keine Offen­heit möglich ist, muss sys­temisch geschützt wer­den. Nachteil­saus­gle­ich erset­zt nicht soziale Inte­gra­tion – aber er wird umso wichtiger, wo sie fehlt.

2       Nachteilsausgleiche

Der Nachteil­saus­gle­ich stellt ein rechtlich ver­ankertes Instru­ment zur Sicherung chan­cen­gerechter Stu­di­enbe­din­gun­gen dar. Er zielt darauf ab, Studieren­den mit kör­per­lichen, psy­chis­chen oder chro­nis­chen Beein­träch­ti­gun­gen zu ermöglichen, ihre Prü­fungsleis­tun­gen unter Bedin­gun­gen zu erbrin­gen, in denen sie ihre Kom­pe­ten­zen sicht­bar machen – ohne durch äußere, nicht leis­tungsrel­e­vante Fak­toren benachteiligt zu wer­den. Als Maß­nahme der soge­nan­nten „angemesse­nen Vorkehrun­gen“ im Sinne von Artikel 5 Absatz 3 der UN-Behin­derten­recht­skon­ven­tion (UN-BRK) ist der Nachteil­saus­gle­ich Aus­druck eines völk­er- und ver­fas­sungsrechtlich garantierten Gle­ich­be­hand­lungs­ge­bots. Auch die Hochschul­rek­torenkon­ferenz fordert in ihrer Empfehlung zum Studi­um mit Behin­derung oder chro­nis­ch­er Krankheit (2009) die verbindliche Imple­men­tierung entsprechen­der Maß­nah­men in allen Stu­di­en­phasen.

Nachteil­saus­gle­iche betr­e­f­fen in der Prax­is ins­beson­dere Fristver­längerun­gen, Prü­fungs­for­mate, Anwe­sen­heit­spflicht­en oder das Set­ting von Prü­fun­gen. Beantragt wer­den sie in der Regel bei Prü­fungsämtern oder Prü­fungsauss­chüssen. Davon zu unter­schei­den sind indi­vidu­elle Anpas­sun­gen, bei denen es sich meist um informelle Absprachen mit Lehren­den han­delt, etwa zur Gestal­tung von Lehrver­anstal­tun­gen, Grup­pe­nar­beit­en oder zur Bere­it­stel­lung bar­ri­ere­freier Mate­ri­alien. Bei­de Instru­mente ver­fol­gen jedoch das­selbe Ziel: die Sicherung gle­ich­berechtigter Teil­habe im Studi­um.

Die Real­ität an den bay­erischen Hochschulen weicht jedoch in alarmieren­der Weise von diesem Anspruch ab. Wie die bun­desweite best3-Studie ein­drück­lich belegt, machen nur sehr wenige Studierende mit stu­di­ener­schw­eren­der Beein­träch­ti­gung von ihrem Recht auf Nachteil­saus­gle­ich Gebrauch. Lediglich 21% der Betrof­fe­nen haben einen Antrag im Bere­ich Prü­fun­gen gestellt, in der Stu­dienor­gan­i­sa­tion liegt die Antragsquote bei nur 10%, im Bere­ich Lehre und Ler­nen sog­ar bei lediglich 8%– und das, obwohl über 92% der Betrof­fe­nen über Schwierigkeit­en in min­destens einem dieser drei Bere­iche bericht­en. Gle­ichzeit­ig geben knapp drei Vier­tel der­jeni­gen, denen ein Nachteil­saus­gle­ich bewil­ligt wurde, an, dass sie diesen als (sehr) hil­fre­ich empfind­en. Es ist also nicht die Wirkungslosigkeit des Instru­ments, die zu sein­er gerin­gen Nutzung führt, son­dern struk­turelle Defizite im Zugang.

Die Gründe für die niedrige Antragsquote sind deut­lich: Über die Hälfte der befragten Studieren­den mit Beein­träch­ti­gung verzichtet auf eine Antrag­stel­lung, weil sie sich selb­st nicht „beein­trächtigt genug“ fühlt. Fast eben­so viele sind unsich­er, ob sie über­haupt anspruchs­berechtigt sind oder ob ein Antrag Aus­sicht auf Bewil­li­gung hätte. Beson­ders betrof­fen sind Studierende mit psy­chis­chen Erkrankun­gen oder gle­ich schw­eren Mehrfach­beein­träch­ti­gun­gen – also genau jene Grup­pen, die in anderen Bere­ichen des Studi­ums bere­its mit den größten Bar­ri­eren kon­fron­tiert sind. Diese Dat­en bele­gen ein­drück­lich, dass die beste­hen­den Infor­ma­tion­sange­bote unzure­ichend sind. Studierende wis­sen häu­fig nicht, dass sie einen Anspruch auf Nachteil­saus­gle­ich haben, ken­nen die zuständi­gen Stellen nicht oder fürcht­en sich vor dem bürokratis­chen Aufwand. Zudem bekom­men viele Studieren­den ihre Diag­nosen erst während des Studi­ums. Hier­bei ist beson­ders zu beacht­en, dass Ter­mine für behan­del­ndes medi­zinis­ches Per­son­al oft schw­er zu bekom­men sind und die Abklärun­gen von Diag­nosen im Erwach­se­nenal­ter meist mit hohen Kosten begleit­et wer­den.

Doch auch dort, wo ein Antrag gestellt wird, zeigt sich ein sys­tem­a­tis­ches Ver­sagen der Struk­turen. Die Ablehnungs­gründe, die in der best3-Studie erhoben wur­den, wer­fen ein kri­tis­ches Licht auf die tat­säch­liche Prax­is der Hochschulen. In fast 20% der Fälle wurde der Ablehnungs­grund nicht ein­mal mit­geteilt – ein höchst intrans­par­entes und demo­tivieren­des Vorge­hen. Am häu­fig­sten gaben Studierende als Grund für die Ablehnung an, dass Lehrende nicht bere­it waren, ihre Lehrrou­ti­nen anzu­passen. In weit­eren Fällen wur­den Anpas­sungswün­sche mit dem Ver­weis auf die Prü­fung­sor­d­nung abgelehnt oder die Beein­träch­ti­gung nicht als aus­re­ichen­der Grund anerkan­nt. Auch organ­isatorische oder tech­nis­che Prob­leme auf Seit­en der Hochschule führten regelmäßig dazu, dass Anträge scheit­erten. Beson­ders gravierend ist, dass viele Studierende bericht­en, der gewün­schte Aus­gle­ich sei als „Bevorzu­gung“ gew­ertet wor­den – ein klar diskri­m­inieren­des Missver­ständ­nis der Recht­slage, das auf man­gel­nde Sen­si­bil­isierung und Qual­i­fika­tion der Entschei­dungstra­gen­den ver­weist.

Diese Befunde machen deut­lich, dass die beste­hende Prax­is des Nachteil­saus­gle­ichs in Bay­ern struk­turelle Refor­men drin­gend erforder­lich macht. Entschei­dungs­befug­nisse liegen bis­lang oft bei einzel­nen Prü­fungsämtern oder Prü­fungsauss­chüssen, deren Mitar­bei­t­ende in der Regel wed­er juris­tisch, medi­zinisch noch päd­a­gogisch für die Bear­beitung solch­er Anträge aus­ge­bildet sind. In eini­gen Fällen sind die Dozieren­den de Studieren­den in diesen Entschei­dungs­gremien. Dies führt dazu, dass Studierende entwed­er den Antrag nicht stellen wollen da sie ihre Beein­träch­ti­gung nicht an ihre Dozieren­den preis­geben wollen, oder dass Dozierende diskri­m­inierend mit diesem Wis­sen umge­hen kön­nten. Es fehlt an ein­heitlichen Stan­dards, an Trans­parenz, an Schutzvorkehrun­gen – und vor allem an einem inklu­sion­ssen­si­blen Ver­ständ­nis der rechtlichen Verpflich­tun­gen. 

Aus diesem Grund fordern wir die Ein­rich­tung ein­er hochschulüber­greifend­en, zen­tralen Han­dre­ichung und Hand­lungsempfehlung für Nachteil­saus­gle­iche. Zudem bedarf es klar­er Ver­fahrens­stan­dards, trans­par­enter Begrün­dungspflicht­en bei Ablehnun­gen sowie regelmäßig verpflich­t­en­der Fort­bil­dun­gen für alle beteiligten Entscheidungsträger*innen. Der Nachteil­saus­gle­ich darf nicht länger ein bürokratis­ches Hin­der­nis sein, son­dern muss als das ver­standen wer­den, was er ist: ein rechtlich garantiertes Mit­tel zur Her­stel­lung von Gerechtigkeit im Hochschul­raum.

3       Strukturelle Probleme: Fehlentscheidungen, Unsicherheit, Barrieren

Die aktuelle Prax­is des Nachteil­saus­gle­ichs an bay­erischen Hochschulen weist gravierende struk­turelle, rechtliche und proze­du­rale Defizite auf. Diese erschw­eren nicht nur die chan­cen­gerechte Teil­habe von Studieren­den mit Beein­träch­ti­gun­gen, son­dern kon­terkari­eren die Idee des Nachteil­saus­gle­ichs als rechtlich garantiert­er Schutzmech­a­nis­mus gegen Diskri­m­inierung. Die Ergeb­nisse der best3-Studie und die Ein­schätzun­gen von Expert*innen deck­en sich in zen­tralen Prob­le­manzeigen und wer­den durch das Rechtsgutacht­en von Prof. Dr. Jörg Ennuschat (2019) rechts­dog­ma­tisch unter­mauert.

3.1        Rechtsdogmatische Missverständnisse

Ein zen­trales Prob­lem beste­ht in der Miss­deu­tung des Nachteil­saus­gle­ichs als „Kann-Leis­tung“ oder Kulanz­maß­nahme. Tat­säch­lich han­delt es sich hier­bei um einen Recht­sanspruch, der sich aus dem Gle­ich­heits­grund­satz des Grundge­set­zes (Art. 3 GG), dem prü­fungsrechtlichen Gebot der Chan­cen­gle­ich­heit sowie der UN-Behin­derten­recht­skon­ven­tion (Art. 24 UN-BRK) ableit­et (Ennuschat 6–10). Die häu­fige Ver­wen­dung des Begriffs „Dauer­lei­den“, der in vie­len Hochschu­lord­nun­gen und For­mu­la­ren nach wie vor ver­wen­det wird, ste­ht im klaren Wider­spruch zu diesem Rechtsver­ständ­nis. Er pathol­o­gisiert Studierende, entin­di­vid­u­al­isiert ihre Bedarfe und verengt den Blick auf Prüfungs(un)fähigkeit, anstatt die tat­säch­liche Darstel­lungs­fähigkeit unter bes­timmten Bedin­gun­gen zu betra­cht­en. Ins­beson­dere Studierende mit psy­chis­chen und neu­ro­di­ver­gen­ten Beein­träch­ti­gun­gen sind hier­von betrof­fen und wer­den fak­tisch schlechter gestellt als Studierende mit sicht­baren kör­per­lichen Ein­schränkun­gen – ein Befund, den Ennuschat (2019) aus­drück­lich kri­tisiert.

3.2       Fehlendes Fachwissen bei Entscheidungsträger*innen

Ein weit­eres zen­trales Prob­lem liegt in der fehlen­den Qual­i­fika­tion der­jeni­gen Per­so­n­en, die über Anträge auf Nachteil­saus­gle­ich entschei­den. In Bay­ern erfol­gt dies häu­fig durch einzelne Sachbearbeiter*innen in Prü­fungsämtern – ohne juris­tis­che, psy­chol­o­gis­che oder diskri­m­inierungskri­tis­che Aus­bil­dung oder durch Prü­fungsauss­chüsse – teils beste­hend aus den Dozieren­den der Studieren­den. Die Bew­er­tung medi­zinis­ch­er und psy­chis­ch­er Diag­nosen sowie die Ein­schätzung geeigneter Maß­nah­men erfol­gt damit vielfach auf unsicher­er, teils vor­ein­genommen­er Grund­lage. Die Entschei­dung über einen Nachteil­saus­gle­ich hängt somit oft vom indi­vidu­ellen Vorver­ständ­nis oder Vorurteil der zuständi­gen Per­son ab – eine Sit­u­a­tion, die für den Lan­desstudieren­den­rat Bay­ern inakzept­abel ist.

3.3      Uneinheitliche Verfahren und unklare Zuständigkeiten

Die Ver­fahren zur Beantra­gung von Nachteil­saus­gle­ichen sind hochschulüber­greifend und teil­weise auch inner­halb einzel­ner Hochschulen nicht stan­dar­d­isiert. Unter­schiede in Prü­fungs- und Inklu­sion­skul­turen führen dazu, dass die Erfol­gschan­cen eines Antrags maßge­blich vom Stan­dort und von der zuständi­gen Per­son abhän­gen. Dies wider­spricht dem Gle­ich­be­hand­lungs­grund­satz und ver­stärkt struk­turelle Ungle­ich­heit. Hinzu kommt die man­gel­nde Trans­parenz: Viele Studierende wis­sen nicht, welche Unter­la­gen erforder­lich sind, an wen sie sich wen­den kön­nen oder welche Fris­ten zu beacht­en sind. Auch sind Einzel­heit­en der Anträge oft unter­schiedlich. So beispiel­sweise, ob Schreiben von appro­bierten Therapeut*innen ause­ichend sind für die Antragsstel­lung oder nicht.

3.4      Mangelnde Unterstützung und Barrieren im Zugang

Die Antrag­stel­lung erfol­gt häu­fig ohne beglei­t­ende Beratung. Vie­len Studieren­den ist das Ange­bot nicht bekan­nt, oder es ist per­son­ell und insti­tu­tionell nicht aus­re­ichend vorhan­den. Dig­i­tale Antragssys­teme fehlen entwed­er ganz oder sind nicht bar­ri­ere­frei. Studierende sehen sich mit einem hochfor­mal­is­tis­chen Ver­fahren kon­fron­tiert, das sie in der Regel alleine bewälti­gen müssen – obwohl die Antrag­stel­lung ins­beson­dere bei psy­chis­ch­er Belas­tung eine erhe­bliche Her­aus­forderung darstellt.

Wie die best3-Studie zeigt, ist die Kon­se­quenz daraus gravierend: Nur rund 21 % der Studieren­den mit stu­di­ener­schw­eren­der Beein­träch­ti­gung stellen über­haupt einen Antrag. Beson­ders häu­fig verzicht­en ger­ade jene Grup­pen, die beson­ders belastet sind – Studierende mit psy­chis­chen Erkrankun­gen oder mit Mehrfach­beein­träch­ti­gun­gen. Es man­gelt an niedrigschwelliger Infor­ma­tion, an trans­par­enter Kom­mu­nika­tion und an ver­trauenswürdi­gen Beratungsstruk­turen. 

3.5      Problematische Ablehnungsgründe

Auch die Gründe, aus denen Nachteil­saus­gle­iche abgelehnt wer­den, sind in vie­len Fällen beden­klich – sowohl rechtlich als auch insti­tu­tionell. Fast 20 % der betrof­fe­nen Studieren­den erhal­ten keine Begrün­dung für die Ablehnung ihres Antrags – ein intrans­par­entes Vorge­hen. 39 % bericht­en, dass Lehrende nicht bere­it waren, ihre Lehrfor­mate anzu­passen. In 35 % der Fälle wurde der Antrag mit Ver­weis auf die Stu­dienord­nung abgelehnt, in 34 % wurde die Beein­träch­ti­gung nicht als aus­re­ichen­der Grund anerkan­nt. Auch wer­den einige Anträge abgelehnt, da die geforderten Aus­gle­iche im Wieder­spruch mit den abgefagten Prü­fungsleis­tun­gen ste­hen – so etwa Zeit­man­age­ment oder Konzen­tra­tions­fähigkeit. Hier­bei wäre es wichtig zu evaluieren, ob Prü­fungs­for­mate diese The­men abfra­gen soll­ten, beson­ders in Zeit­en der Dig­i­tal­isierung. All dies ver­weist auf eine struk­turelle Unken­nt­nis der Recht­slage sowie auf eine ver­bre­it­ete Entsol­i­darisierung inner­halb der Hochschulen – ins­beson­dere gegenüber nicht-sicht­baren Beein­träch­ti­gun­gen.

3.6      Fehlende Digitalisierung und unklare medizinische Standards

Die fehlende Dig­i­tal­isierung von Antragsprozessen erschw­ert nicht nur die Zugänglichkeit, son­dern auch die Nachvol­lziehbarkeit und Archivierung von Entschei­dun­gen. Zudem beste­hen Unsicher­heit­en hin­sichtlich der Akzep­tanz medi­zinis­ch­er Nach­weise: Viele Studierende haben Schwierigkeit­en, kurzfristig Ter­mine bei Fachärzt*innen zu bekom­men. Die Frage, ob auch appro­bierte Psy­chother­a­peutin­nen Nach­weise ausstellen dür­fen, ist oft nicht gek­lärt oder wird unein­heitlich gehand­habt. Solche Unklarheit­en müssen drin­gend rechtlich und ver­wal­tung­stech­nisch aufgelöst wer­den – etwa durch eine aktu­al­isierte, öffentlich zugängliche Liste akzep­tiert­er Fach­per­so­n­en und Nach­we­is­for­men, sowie eine klare Kom­mu­nika­tion seit­ens Entscheidungsträger*innen.

4      Forderungen

Der Bay­erische Lan­desstudieren­den­rat fordert eine tief­greifende struk­turelle Neuaus­rich­tung der Ver­fahren zum Nachteil­saus­gle­ich an bay­erischen Hochschulen mit fol­gen­den Schw­er­punk­ten: 

  1. Qual­i­fizierung aller prü­fungsrel­e­van­ten Entscheidungsträger*innen 

An beina­he sämtlichen Hochschulen und den Studieren­den­werken gibt es Berater:innen und Mitar­bei­t­ende, die Studierende mit Behin­derun­gen sowie chro­nis­chen Erkrankun­gen unter­stützen. Nicht nur die Beratungsstellen von Hochschulen und Studieren­den­werken kom­men dabei mit dem The­ma Nachteilaus­gle­iche in Berührung, son­dern auch Mitar­bei­t­ende von Prü­fungsämtern und ‑auss­chüssen sowie Lehrende. Damit es hier eine adäquate Beratung und Hil­fe geleis­tet wer­den kann, fordert der Bay­erische Lan­desstudieren­den­rat regelmäßige Schu­lun­gen und Weit­er­bil­dun­gen anhand der aktuellen Recht­slage, dem Prü­fungsrecht und der UN-Behin­derten­recht­skon­ven­tion. Darüber hin­aus fordert der Bay­erische Lan­desstudieren­den­rat die Qual­i­fizierun­gen des Per­son­als für eine diskri­m­inierungs­freie Kom­mu­nika­tion, eben­so wie die Sen­si­bil­isierung gegenüber neu­ro­di­ver­gen­ten und psy­chis­chen Beein­träch­ti­gun­gen.

  • Bessere Infra­struk­tur und bar­ri­erearme Antrag­stel­lung 

Damit Studieren­den mit Beein­träch­ti­gun­gen bei der Antragsstel­lung zu Nachteil­saus­gle­ichen keine zusät­zlichen bürokratis­chen Hür­den ent­ge­gen­ste­hen, fordert der Bay­erische Lan­desstudieren­den­rat dig­i­tale, bar­ri­ere­freie und ein­heitliche Antragssys­teme, die für Ärzt:innen und andere externe Anlauf­stellen ein­deutig und zweifels­frei bear­beit­et wer­den kön­nen. Außer­dem sollen automa­tisierte Verbindun­gen zwis­chen Antragsstel­lung und BAföG-Fris­ten­regelun­gen geschaf­fen wer­den. Zur Unter­stützung dieses Prozess­es sollen zusät­zliche unab­hängige, qual­i­fizierte Beratungsstellen aus­ge­baut wer­den. Der Bay­erische Lan­desstudieren­den­rat fordert darüber hin­aus die Zurver­fü­gung­stel­lung von angemessen­er Tech­nikausstat­tung zur Unter­stützung sen­sorisch­er und kog­ni­tiv­er Bedarfe. 

  • Nutzung und Ver­ste­ti­gung von Inklu­sion­s­mit­teln 

In Anlehnung an andere Bun­deslän­der sollen auch in Bay­ern Inklu­sion­s­mit­tel bere­it­gestellt wer­den, die etwa für tech­nis­che Hil­f­s­mit­tel, eine per­sön­liche Unter­stützung in Prü­fungssi­t­u­a­tio­nen oder admin­is­tra­tive Ent­las­tung einge­set­zt wer­den kön­nen. Die IBS ver­weist bere­its auf funk­tion­ierende Mod­elle ander­norts – Bay­ern hinkt hier hin­ter­her. 

  • Nachteil­saus­gle­ich darf nicht zu BAföG-Nachteilen führen 

Die Höch­st­stu­di­en­dauer im BAföG ist für viele Betrof­fene real­itäts­fern. Ein Nachteil­saus­gle­ich, z. B. in Form von ver­längerten Bear­beitungszeit­en oder Prü­fungs­fris­ten, muss automa­tisch auch im Rah­men des BAföG berück­sichtigt wer­den. 

  • Teilzeit­stu­di­engänge 

Unter Studieren­den mit stu­di­ener­schw­eren­den Beein­träch­ti­gun­gen liegt der Anteil an Vol­lzeit­studieren­den bei etwa 77 % und damit niedriger als bei Studieren­den ohne Beein­träch­ti­gun­gen (mit etwa 82 %). Allerd­ings sind beein­trächtigte Studierende nicht häu­figer in offiziellen Teilzeit­stu­di­engän­gen eingeschrieben, son­dern über­wiegend in Vol­lzeit­stu­di­engän­gen, die sie fak­tisch in Teilzeit absolvieren – entwed­er auf Grund­lage indi­vidu­eller Vere­in­barun­gen (11,5 %) oder ohne eine solche Regelung (5,6 %). Dage­gen ist in offiziellen Teilzeit­stu­di­engän­gen der Anteil der Studieren­den ohne stu­di­ener­schw­erende Beein­träch­ti­gun­gen etwas höher (8,6 % gegenüber 7 % mit stu­di­ener­schw­eren­den Beein­träch­ti­gun­gen) [4]. Deshalb fordert der Bay­erische Lan­desstudieren­den­rat eine Ein­führung von Teilzeit­stu­di­engän­gen für alle Stu­di­engänge an allen bay­erischen Hochschulen und Uni­ver­sitäten.

  • Bessere Aufk­lärung — auch von Falschin­for­ma­tio­nen

Der Bay­erische Lan­desstudieren­den­rat fordert eine umfassende, ver­ständliche und bar­ri­ere­freie Aufk­lärung über Nachteil­saus­gle­iche. Hier­bei sollen nicht nur beste­hende Infor­ma­tion­slück­en geschlossen, son­dern auch aktiv Falschin­for­ma­tio­nen ver­hin­dert und kor­rigiert wer­den, um Studierende zuver­läs­sig über ihre Rechte zu informieren. Die Infor­ma­tio­nen müssen den Studieren­den voll­ständig, ver­ständlich und bar­ri­ere­frei zugänglich und auf die Ange­bote nieder­schwellige aufmerk­sam gemacht wer­den.

  • Trans­par­entere Vorgänge — auch bei Ablehnun­gen

Die Ver­fahren rund um Nachteil­saus­gle­iche müssen nicht nur trans­par­ent gestal­tet wer­den, son­dern ins­beson­dere bei Ablehnun­gen oder Fehlern nachvol­lziehbar, klar und mit rechtlich über­prüf­baren Begrün­dun­gen erläutert wer­den, um Studieren­den mit Beein­träch­ti­gun­gen Ori­en­tierung und Rechtssicher­heit sowie die Möglichkeit zur Aus­besserung von fehler­haften Anträ­gen zu geben.

  • Nachteilaus­gle­iche auch inner­halb der Lehre und Lehrver­anstal­tun­gen

Der Bay­erische Lan­desstudieren­den­rat fordert, dass Nachteil­saus­gle­iche nicht auss­chließlich für Prü­fun­gen gel­ten, son­dern auch für die Teil­nahme an Lehrver­anstal­tun­gen. Nur so kann gewährleis­tet wer­den, dass Studierende mit stu­di­ener­schw­eren­den Beein­träch­ti­gun­gen gle­ich­berechtigt am Studi­um teil­nehmen kön­nen.

  • Unab­hängigkeit von Entscheidungsträger:innen 

Über Nachteil­saus­gle­iche dür­fen Lehrende oder Prüfer:innen in keinem Fall entschei­den, die in direk­tem Kon­takt zu den betrof­fe­nen Studieren­den ste­hen. Um Befan­gen­heit und Abhängigkeit­en zu ver­mei­den und betrof­fene Studierende zu schützen, müssen Entschei­dun­gen durch neu­trale Ansprech­per­so­n­en getrof­fen wer­den. 

  1. Abbau von Hür­den bei der Beantra­gung

Viele Studierende mit Beein­träch­ti­gun­gen verzicht­en auf die Beantra­gung von Nachteil­saus­gle­ichen aus Sorge vor Vorurteilen und neg­a­tiv­en Kon­se­quen­zen. Der Bay­erische Lan­desstudieren­den­rat fordert daher nieder­schwellige, sichere und ver­trauensvolle Ver­fahren, die nicht nur den Zugang zu Nachteil­saus­gle­ichen erle­ichtern und Äng­ste von Betrof­fe­nen abbauen, son­dern die sowohl Lehrende, Mitar­bei­t­ende und Ansprech­per­so­n­en sen­si­bil­isiert.

5      Schlussbemerkung

Ein Nachteil­saus­gle­ich darf keine „Gnade“ sein, son­dern muss auf einem trans­par­enten, ein­heitlichen und diskri­m­inierungs­freien Ver­fahren beruhen. Die Hochschulen sind dem inklu­siv­en Bil­dungsauf­trag verpflichtet – dies schließt eine struk­turelle Zuständigkeit und Ver­ant­wor­tung für die Chan­cen­gle­ich­heit aller Studieren­den zwin­gend ein. 

Der Nachteil­saus­gle­ich ist kein Gnade­nakt, son­dern ein Recht­sanspruch auf Gle­ich­be­hand­lung. Eine inklu­sive Hochschul­land­schaft misst sich daran, ob sie die struk­turellen Bar­ri­eren für alle abbaut – nicht nur für die, die laut, gesund und rechtzeit­ig sind.

Bay­ern hat die Chance, aus einem zufäl­li­gen Flick­en­tep­pich ein pro­fes­sionelles, trans­par­entes und gerechtigkeits­basiertes Sys­tem zu machen. Die best3-Studie zeigt: Die Zeit ist reif. Die Ver­hält­nisse sind es nicht.

6      Quellen

[1] Best 3, S. 5.

[2] Ennuschat, Jörg. Rechtsgutacht­en zur rechtlichen Zuläs­sigkeit und Aus­gestal­tung von Nachteil­saus­gle­ichen für Studierende mit Behin­derun­gen. Beauf­tragt durch das Deutsche Stu­den­ten­werk, 2019.
[3] Muthorst, Olaf. Präsen­ta­tion „Nachteil­saus­gle­ich und Prü­fungsrecht – Struk­turelle Hür­den und diskri­m­inierungs­freie Ver­fahren“, 2025.

[4] Best 3, S. 6

Nach oben scrollen