Die Entscheidung des Bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst, die Verwendung gendersensibler Sprache in Form von Binnenzeichen in der offiziellen Hochschulkommunikation zu untersagen, gibt Anlass, eine weitere, intensive Auseinandersetzung mit der Relevanz inklusiver Sprach-praxis zu führen. Der Bayerische Landesstudierendenrat setzt sich für eine konsequente Nutzung inklusiver Sprache ein, die sicherstellt, dass sich alle Mitglieder der Hochschulgemeinschaft angesprochen und respektiert fühlen.
Gendersensible Sprache ist im Gegensatz zum generischen Maskulinum oder der ausschließlichen Verwendung weiblicher und männlicher Formen in der Lage, geschlechtliche Vielfalt sichtbar zu machen. Besonders an Hochschulen ist es von hoher Bedeutung, männlich dominierte Geschlechterstereotype zu überwinden und FINTA*[1] Personen in der Wissenschaft zu fördern. Gender-sensible Sprache ist dabei ein wichtiger Baustein, um Diskriminierungs-erfahrungen zu reduzieren, sowie Chancengleichheit und Gleichberechtigung zu etablieren. Formulierungen wie „Sehr geehrte Damen und Herren“ greifen hierbei zu kurz, da sie eine binäre Geschlechteransicht verstärken und Geschlechter, die außerhalb dieser Dichotomie stehen, ignorieren.
Noch drastischer sind die Auswirkungen bei Verwendung des sogenannten generischen Maskulinums. Dies ist nicht geschlechtsneutral, da sich Menschen bei dem Gebrauch von männlichen Formen, so zum Beispiel “Wissenschaftler”, vor allem Männer vorstellen. [1, S. 163], [2], [3, S. 54] Die Sprachverwendung sorgt nicht nur dafür, wie wir die Welt sehen, sondern auch welche Rollen wir verschiedenen Geschlechtern zuweisen. [4, S. 743], [5, S.1] Dies verstetigt stereotype Geschlechterrollen und macht sowohl Frauen als auch nicht-binäre Personen unsichtbar. [6, S. 53]
Sprache entwickelt sich stetig und spiegelt natürliche gesellschaftliche Entwicklungen wider. Diese sprachlichen Entwicklungen stellen eine Repräsentation der Welt dar. [7, S. 22] Genderneutrale Bezeichnungen sind eine akkuratere Beschreibung der Welt [8, S. 8ff]. [7, S. 133ff], [9, S. 21], [10, S. 88] Insbesondere für Kinder ist es wichtig, dass längst überholte Denkmuster abgelöst werden. Stereotype wie die Annahme, dass nur Frauen Krankenschwestern und nur Männer Hausmeister werden können, werden durch geschlechtsneutrale Formulierungen leichter überwunden. [11], [12] Um die Entwicklung von Sprache nicht zu behindern, hat auch der Duden nur das Ziel, Sprache zu beschreiben, statt vorzuschreiben. Ein unnatürliches und unnötiges Eingreifen (durch z.B. politische Maßnahmen) stört diesen lebendigen Diskurs und die natürliche Entwicklung der Sprache.
Seit der rechtlichen Anerkennung des dritten Geschlechtseintrags „divers“ in Deutschland und der damit verbundenen Auswirkungen des Gleichbehandlungsgesetzes ist es unerlässlich, dass Stellenausschreibungen auch nicht-binäre Personen einschließen. Die Nutzung einer Sprache, die diese Vielfalt nicht berücksichtigt, widerspricht daher dem Grundsatz der Antidiskriminierung.
Ebenso widersprüchlich erscheint die ausschließliche Verwendung des generischen Maskulinums. Hierbei ist es nicht möglich, Vergleiche zwischen zwei Geschlechtern zu ziehen, ohne diese explizit zu benennen. Die Verwendung des generischen Maskulinums erzeugt eine unterbewusste Priorisierung und Bevorzugung männlicher Personen, während andere Personengruppen benachteiligt werden. [8], [10, S. 88] Im Gegensatz hierzu kann genderneutrale Sprache genutzt werden, um zu entgendern, also die Geschlechtsidentitäten aus einem Thema herauszunehmen. Dies fördert die Sichtbarkeit des Schwerpunktes einer Diskussion, wie beispielweise der Wissenschaft und nimmt das Thema Geschlecht aus dem Dialog, in dem es keine Rolle spielt.
Ein gesellschaftlicher Konsens zur optimalen Form des Genderns steht noch aus, weshalb der aktuelle Diskurs umso bedeutender ist. Dieser ermöglicht eine breit angelegte Konsensbildung und ist in den Augen des Bayerischen Landesstudierendenrats von entscheidender Bedeutung. Wir appellieren an die Bayerische Staatsregierung, sprachliche Freiheiten zu wahren und Verbote bestimmter Formulierungen und Schreibweisen aufzuheben. Wir fordern explizit ebenso wenig ein Gebot zur Sprachverwendung. Es sollte allen Menschen in Bayern selbst überlassen sein, ob und wie gendersensible Sprache verwendet wird. Anstelle von Zwangsvorgaben plädieren wir für die Förderung einer inklusiven Sprache, die alle Gesellschaftsmitglieder ausdrücklich einbindet und zur Chancengleichheit beiträgt.
Quellen
[1] L. Irmen and A. Köhncke, “Zur Psychologie des ‘generischen’ Maskulinums,” Sprache & Kognition : Zeitschrift für Sprach- u. Kognitionspsychologie u. ihre Grenzgebiete, vol. 15, no. 3, pp. 152–166, 1996, Accessed: May 19, 2024. [Online]. Available: https://bibliographie.ub.uni-due.de/servlets/DozBibEntryServlet?id=ubo_mods_00034030
[2] J. Klein, “Benachteiligung der Frau im generischen Maskulinum–eine feministische Schimäre oder psycholinguistische Realität,” Vorträge des Germanistentages Berlin, vol. 1, pp. 310–319, 1987.
[3] L. F. Pusch, Das Deutsche als Männersprache: Aufsätze und Glossen zur feministischen Linguistik, 1. Aufl. in Edition Suhrkamp, no. 1217 = n.F., Bd. 217. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1984.
[4] S. Reiss, The Normal Personality: New Way of Thinking about People. New York Cambridge University. 2007.
[5] F. Braun, S. Sczesny, and D. Stahlberg, “Cognitive Effects of Masculine Generics in German: An Overview of Empirical Findings,” Communications, vol. 30, no. 1, pp. 1–21, Jan. 2005, doi: 10.1515/comm.2005.30.1.1.
[6] G. Graefen and M. Liedke-Göbel, Germanistische Sprachwissenschaft: Deutsch als Erst‑, Zweit- oder Fremdsprache., 2. A. Francke 2012 UTB GmbH 2012, 2012.
[7] G. Diewald and A. Steinhauer, Handbuch geschlechtergerechte Sprache: wie Sie angemessen und verständlich gendern, 2., Aktualisierte und erweiterte Auflage. in Duden. Berlin: Dudenverlag, 2022.
[8] A. Gäckle, “ÜberzeuGENDERe Sprache. Leitfaden der Gleichstellungsbeauftragten zur geschlechtersensiblen und inklusiven Sprache.” Universität zu Köln, 2021. Accessed: May 19, 2024. [Online]. Available: https://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/downloads/DE/Literatur/Literatur_Themenjahr_Geschlecht/%C3%9CberzeuGENDERe%20Sprache.pdf
[9] M. Koch, “Kognitive Effekte des generischen Maskulinums und genderneutraler Alternativen im Deutschen – eine empirische Untersuchung,” PhD Thesis, 2021.
[10] T. J. Fütty, M. S. Höhne, and C. Eric Llaveria, “Geschlechterdiversität in Beschäftigung und Beruf. Bedarfe und Um setzungsmöglichkeiten von Antidiskriminierung für Arbeitgeber_innen.” Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Berlin, 2020.
[11] V. Steiger and L. Irmen, “Zur Akzeptanz und psychologischen Wirkung generisch maskuliner Personenbezeichnungen und deren Alternativen in juristischen Texten,” Psychologische Rundschau, vol. 58, no. 3, pp. 190–200, Jul. 2007, doi: 10.1026/0033–3042.58.3.190.
[12] P. Gygax, U. Gabriel, O. Sarrasin, J. Oakhill, and A. Garnham, “Generically intended, but specifically interpreted: When beauticians, musicians, and mechanics are all men,” Language and Cognitive Processes, vol. 23, no. 3, pp. 464–485, Apr. 2008, doi: 10.1080/01690960701702035.
[1] Frauen, inter, nicht-binäre, trans und agender Personen