Zukunft der Lehre
Mit Beginn der Corona-Krise stand die bayerische Hochschullandschaft vor einem noch nie da gewesenen Problem: Plötzlich mussten 400.000 Studierende digital unterrichtet werden. Das stellte für alle Parteien eine enorme Herausforderung dar und wurde mit sehr unterschiedlichem Erfolg umgesetzt. Seit zwei Jahren wird sich in der Folge wieder nach der Lehre vor Corona zurückgesehnt. Wir als Bayerischer Landesstudierendenrat (BayStuRa) stellen die Frage: Ist das überhaupt wünschenswert? Gerade jetzt ist ein guter Zeitpunkt, um innezuhalten und zu überlegen, wie die Lehre in zehn oder zwanzig Jahren aussehen könnte. In acht Visionen stellt der BayStuRa auf den folgenden Seiten vor, wie die Lehre der Zukunft gestaltet werden kann. 1. Vision: Interaktive und kompetenzorientierte Lehre Monologartige Vorlesungen sollen der Vergangenheit angehören. Stattdessen soll in Zukunft bei Präsenzveranstaltungen verstärkt auf interaktive Lehrformate, wie z.B. projektbasierte Vorlesungen, problemorientierte Seminare uvm. gesetzt werden. Durch Interaktivität ergibt sich die Möglichkeit, didaktisch mehr auf die Studierenden einzugehen und gezielt auf die individuellen Lernfortschritte zu achten. Auch Lehrmodelle wie Blended Learning oder Flipped Classroom können zu einer Vertiefung des Lehrinhaltes beitragen. Große Grundlagenvorlesungen wird es weiterhin geben. Gerade bei diesen bietet sich eine asynchrone Nachbereitung der vermittelten Inhalte an. Diese Vorlesungen sollten daher mit asynchron digitalen oder hybriden synchronen interaktiven Elementen und Didaktiken bereichert werden. Solche können z. B. Umfragen, Quizze oder anonymen Wissensabfragen beinhalten. Somit bekommen auch die Lehrenden sofort Feedback, welche Inhalte gut und welche weniger verstanden wurden. Als Werkzeuge sollen hierfür die Möglichkeiten der Digitalisierung eingesetzt werden, um ein kollaboratives Arbeiten und Lernen einfach zu ermöglichen. Außerdem ist es schon heute wichtig, den Studierenden, statt reiner Wissensvermittlung auch Kompetenzen im Bereich der Wissensaneignung und kritischen Quellenbewertung beizubringen. Dies wird vor dem Hintergrund einer immer digitaleren Welt mit ihrer Fülle an Information und Fehlinformation in Zukunft nur noch wichtiger. Daher sollen bei der Entwicklung neuer Lehrkonzepte und ‑formate immer auch die Kompetenzentwicklung mit fokussiert werden. Die Lehre der Zukunft ist interaktiv gestaltet und vermittelt neben Faktenwissen auch Methodenkompetenzen und Soft Skills. 2. Vision: Chancengleichheit für Studierende Die Forderungen nach asynchroner Bereitstellung von Vorlesungsinhalten sind nicht erst seit der Pandemie ein Thema, aber sie wurden dadurch definitiv verstärkt. Dabei stellt das ort- und zeitunabhängige Studieren entgegen vielen Befürchtungen keinen Widerspruch zu Präsenzveranstaltungen dar. Vielmehr kann es Studierenden Sicherheit geben und fördert eher den Fokus in den Präsenzveranstaltungen. Hierbei sollen asynchron bereitgestellte Lehrinhalte als Zusatzangebot dienen und Präsenzveranstaltungen nur in Ausnahmefällen ersetzen. Zudem gibt es unterschiedliche Gründe, warum Studierende nicht zu einer Vorlesung erscheinen können, so z. B. Studierende mit Kind, parallele Arbeit, Arzttermine, Krankheit. Hochschulen haben hier die Chance, sich an die gesellschaftliche Realität der letzten Jahrzehnte und die erweiterte Zielgruppe anzupassen und attraktive Angebote für alle zu liefern. Durch eine asynchrone Bereitstellung von Lehrinhalten kann unkompliziert sichergestellt werden, dass für Studierende keine Nachteile entstehen. Diese aufgezeichneten Inhalte können auch im Nachgang je nach Wichtigkeit der Aktualität in dem jeweiligen Fach für ein Folgesemester wiederverwendet werden. Bei Grundlagenvorlesungen, deren Inhalt sich selten verändert, ist die Bereitstellung von Aufzeichnungen in größeren Abständen möglich. Diese sollten aber mit aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen regelmäßig ergänzt werden. Bei der Bereitstellung live aufgezeichneter Veranstaltungen ist selbstverständlich auf den Datenschutz der anwesenden Studierenden zu achten. Auch die qualitativ sehr wünschenswerte Einbindung von internationalen Expert*innen wird durch ein digitales Angebot wesentlich vereinfacht. Durch gut aufbereitete digitale Lehrinhalte können weitere Vorteile wie übergreifende Bildungsplattformen, neue Lehrformen und ein individuelles Lerntempo der Studierenden entstehen und gefördert werden. Ein gut gewarteter und ansprechend aufbereiteter digitaler Lehrpool, der bayernweit, perspektivisch, aber auch europaweit zur Verfügung steht, schafft Ressourcen bei den Dozierenden und ermöglicht eine vernünftige Einbindung der digitalen Inhalte in das Lehrangebot. Bei diesem können beispielsweise oft gelesene Inhalte in kleinen Häppchen von 10–15 Minuten-Videos zur Verfügung gestellt werden. Zudem erhöht ein digital zugreifbares und vielfältiges Angebot von hochqualitativen Spezialseminaren und Vorlesungen zwischen den Hochschulen die Lehrqualität und Freiheit im Studium. Bei Lehrveranstaltungen, welche in kleineren Gruppen parallel durchgeführt werden, wie z. B. Tutorien, sollte es jeweils ein Teilangebot in digitaler Form geben, sofern das digitale Angebot didaktisch gleichwertig zur Präsenzform sein kann. Dafür und für digitale Lerngruppentreffen sollen alle Studierende kostenlos und dauerhaft Zugang zu einer datenschutzkonformen Videokonferenzplattform haben. Partiell digitale synchrone und asynchrone Lehre sichert die Chancengleichheit unter Studierenden. Außerdem fördert eine hochschulübergreifende Vernetzung die Lehrqualität und schafft bei den Dozierenden Ressourcen, um sich auf eine ansprechende Wissensvermittlung zu konzentrieren. 3. Vision: Learning Analytics als Ergänzung zur Erfassung des individuellen Lernfortschritts Diese orts- und zeitunabhängige Bereitstellung von Inhalten ermöglicht es Studierenden auch, in ihrem eigenen Tempo zu lernen. Dabei könnten sie neben den ausgegebenen Lernzielen auch von Learning Analytics unterstützt werden. Dies soll als freiwillige, sinnvolle Ergänzung zum guten Unterricht dienen und keinesfalls diesen ersetzen. Ebenfalls soll die Freiheit im Studium durch neue Lernmethoden und Werkzeuge nicht beschnitten, sondern bereichert werden. Unnötiger und zusätzlicher Druck durch KI gestützte Überwachung des Lernfortschritts muss vermieden werden. In diesen Fällen wären digitale Selbstkontrolltests zu den einzelnen Lernmodulen eine sinnvolle Alternative. Weitere wichtige Aspekte beim Einsatz neuer Methoden sind Datenschutz und der Erhalt von Eigenverantwortlichkeit und Selbstbestimmung der Studierenden. Bei Anwendung von Learning Analytics muss den Studierenden transparent mitgeteilt werden, welche ihrer Daten wie personalisiert und/oder unpersonalisiert von wem verarbeitet werden und wer Zugriff auf diese Daten hat. KI-Einsatz in der Hochschullehre kann aber den zwischenmenschlichen Umgang und die Lernerfahrung während der Interaktion zwischen Dozierenden und Studierenden nicht ersetzen. Neben der Wissensvermittlung ist das Studium weiterhin ein wichtiger Lebensabschnitt zur Persönlichkeitsentwicklung. Hierbei ist wichtig, dass Learning Analytics als zusätzliche Evaluation für die einzelnen Studierenden und die Lehrenden dient, keine Voraussetzung für Prüfung sein und nicht negativ in die Prüfungsbewertung einfließen darf. Learning Analytics Anwendungen sollen nicht den eigenen Studienfortschritt behindern, sondern vielmehr den Studierenden ihren eigenen Wissenstand aufzeigen. Außerdem sollen Lehrende die Möglichkeit haben, anonym den Wissenstand und Lernfortschritt der Studierenden mitzuverfolgen. Studierende sollen regelmäßige Möglichkeiten zur Selbstevaluation ihres Lernfortschritts haben. Diese können unter Wahrung des Datenschutzes technisch realisiert werden und helfen auch den Dozierenden bei der Vor- und Aufbereitung ihrer Vorlesungen. 4. Vision: Strukturelle Integration der Bildung für nachhaltige Entwicklung Die Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedete 2015 die sogenannten SDGs (Sustainable